Habitusanalyse

In Supervision und Beratung tauchen immer wieder nicht umgesetzte Lebenswünsche auf, für deren Aufschub gut nachvollziehbare Gründe angegeben werden. Geht man diese Problematik allein auf der psychologischen Ebene an, bleibt vielfach der gesellschaftliche Einfluss auf diese Handlungsentscheidung unberücksichtigt. Der Soziologe Bourdieu begründet die Nichtumsetzung von Lebenswünschen mit einem habituell bedingten Selbstausschluss, hervorgerufen durch soziale Begrenzungen. "Mir steht das nicht zu" oder "ich gehöre dort nicht hin" sind die begleitenden Gedanken - sich unbeholfen, ohnmächtig, abgelehnt oder fremd fühlen die korrespondierenden Gefühle. Es handelt sich um natürlich akzeptierte Grenzen mit sozialen (vererbten) Wurzeln, an denen wir unser Alltagsdenken und -handeln unbewusst ausrichten. Scham- und Schuldgefühle sorgen dafür, dass wir das Ziel nicht weiter verfolgen oder wir überzeugen uns irgendwann selbst, dass es vernünftig ist, die Wünsche aufzugeben.

Mit der Habitusanalyse lässt sich ein Diagnoseinstrument in den Supervisions- oder Beratungsprozess integrieren, welches die sozial bedingten Grenzen auf der biographischen und generativen Ebene sichtbar macht. Dazu bracht es eine herkunftsorinientierte Positionierung im sozialen Raum und die Analyse von Denk- und Deutungsmustern aus biographieorintierten Gesprächen. Gemeinsam mit den Ratsuchenden werden Entwicklungsbegrenzungen aufgespürt und über Reflexion und Verstehen der sozialen Zusammenhänge ein Umgang mit den Grenzen erarbeitet. Das kann die Emanzipation von habituellen Überzeugungen sein bis hin zur Überschreitung der habituell geschützten Grenzen. Neben der Einzelsupervision oder Beratung ist diese Methode auch für die Beziehungsdiagnose von multiprofessionellen Arbeitsteams geeignet. Hier geht es vornehmlich um die Reflexion beruflicher Habitus und ihrer Begrenzungen.